Zwischen Wildnis und Wandel: der Nationalpark Bayerischer Wald
Zwischen Wildnis und Wandel:
der Nationalpark Bayerischer Wald
Seit über fünf Jahrzehnten bietet der Nationalpark Bayerischer Wald Tieren einen geschützten Lebensraum – fernab von Forstwirtschaft und menschlichen Eingriffen. In dieser vom Prozessschutz geprägten Landschaft konnten viele Arten überleben oder sogar zurückkehren, die andernorts verschwunden sind. Doch auch hier steht die Tierwelt vor Herausforderungen: Klimawandel, Lebensraumveränderungen und das Miteinander mit dem Menschen erfordern neue Antworten. Im Gespräch berichtet Ursula Schuster, Leiterin des Nationalparks, von Rückkehrern wie dem Luchs, kleinen Erfolgen wie der Rückkehr des Flachkäfers – und der Kunst, Wildnis für Mensch und Tier gleichermaßen erlebbar zu machen.
Welche Tierarten sind typisch für den Nationalpark?
Im Nationalpark Bayerischer Wald gibt es an die 14 000 verschiedene Tier-, Vogel-, Pflanzen-, Insekten- und Pilzarten. Typische und bekannte Tierarten sind beispielsweise der Luchs, das Auerhuhn, der Rothirsch und der Habichtskauz.
Foto: Lukas Haselberger
Welche galten vielleicht lange als verschwunden, sind aber inzwischen zurückgekehrt?
Ein gutes Beispiel ist die Rückkehr des Urwaldreliktkäfers Peltis grossa, zu Deutsch Rauer Flachkäfer. Dieser Käfer ist auf Totholz, d.h. abgestorbene Bäume angewiesen und war seit über 100 Jahre im Gebiet des Nationalparks ausgestorben, weil die Wälder vor der Gründung des Nationalparks überwiegend forstlich genutzt wurden. Mit der Bewirtschaftung des Waldes gingen immer mehr Naturwälder verloren. Dickes Totholz, auf das Peltis grossa angewiesen ist, blieb nicht mehr im Wald und so verschwand die Art und der Lebensraum. In einem Restvorkommen im Nationalpark Šumava konnte der Käfer aber überleben. Und dank der immer größeren Totholzvorkommen in den beiden Nationalparks kann sich die Population nun wieder erholen. Im Zuge dessen konnte der seltene Käfer auch die Naturzonenflächen in unserem Nationalpark wiederbesiedeln, weil es auch hier zwischenzeitlich genügend Totholz gibt. Dies ist ein Erfolg des Prozessschutzes, wie er im Nationalpark praktiziert wird.
Foto: Wolfgang Lorenz
Gibt es besondere Erfolge bei der Wiederansiedlung oder Rückkehr von Arten im bayerisch-böhmischen Grenzraum?
Ja, die gibt es. Erfolgreich waren die Wiederansiedlungsprojekte von Luchs und Habichtskauz. Viele Arten galten diese Jäger als Konkurrenten ums Wild oder schlicht als Schädlinge. Neben Wolf und Bär verschwanden so Anfang des 20. Jahrhunderts auch Luchs und Habichtskauz aus dem Böhmerwald. Erst die Nationalparkgründung ermöglichte deren Rückkehr durch eine Vorgabe in der Nationalparkverordnung. Diese besagt, dass einst ausgerottete Arten nach Möglichkeit wieder angesiedelt werden sollen. Nur fünf Jahre nach der Gründung des Nationalparks fiel der Startschuss für die Wiederansiedlung der Habichtskäuze – mit Nachzuchten aus menschlicher Obhut. In den damals noch forstlich geprägten Wäldern hatten es die Vögel anfangs aber schwer. Erst 14 Jahre nach dem Start des Projekts gelang der erste Brutnachweis in einem der zahlreich ausgebrachten Nistkästen.
Der erste Auswilderungsversuch bei den Luchsen scheiterte. Erst als Ende der 1980er Jahre auf tschechischer Seite 17 Luchse aus den Karpaten freigelassen wurden, konnte sich die größte europäische Katze langsam wieder ausbreiten. Auch der ausgerottete Biber konnte sich nach Wiederansiedlungsprojekten anderswo im Freistaat peu à peu in Richtung Bayerischer Wald ausbreiten. Heute ist er aus der Bergwald-Landschaft des Nationalparks nicht mehr wegzudenken. Nicht nur das, er ist auch noch als bestens geschulter Wildnis-Architekt tätig. Wo der Nationalpark mühsam versucht, Gewässer zu renaturieren oder feuchte Flächen zu schaffen, hat der Biber als Vollprofi beste Arbeit geleistet. Innerhalb weniger Jahre haben die Tiere entlang der Fließgewässer im Schutzgebiet vielfältigste Gewässerflächen geschaffen, die sich von Jahr zu Jahr dynamisch weiterentwickeln.
Ohne menschliche Hilfe zurück geschafft haben es die Wölfe. Diese Art gehört eigentlich seit jeher zur natürlichen Artausstattung des Böhmerwalds. Doch die Menschen sahen ihn als Gefahr und rotteten ihn aus. 1848 wurde das letzte Tier auf bayerischer Seite geschossen. Anders als bei Luchs oder Habichtskauz, die nach ihrem Verschwinden Ende des 20. Jahrhunderts aktiv wieder angesiedelt wurden, gab es solche Bestrebungen nicht für den Wolf. Doch die Tiere hatten auch keine Hilfe nötig. Sie kamen von allein. Im Jahr 2015 konnte der erste Wolf im Nationalpark von einer Fotofalle fotografiert werden. Heute leben im bayerisch-tschechien Grenzgebirge über 30 Tiere.
Foto: Pia Gadenne
Wie eng arbeiten Sie mit den tschechischen Kollegen im benachbarten Böhmerwald zusammen – insbesondere im Hinblick auf grenzüberschreitende Wildtierbestände?
Mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Nationalpark Šumava arbeiten wir sehr eng zusammen. Es gibt zahlreiche Forschungsprojekte, zu vielen Arten wird auch ein regelmäßiges gemeinsames Monitoring durchgeführt. Bestes Beispiel ist das Monitoring des Auerhuhns. In regelmäßigen Abständen findet auf beiden Seiten der Grenze eine gemeinsame Bestandserfassung statt. 1985 verzeichnete man im bayerisch-böhmischen Grenzgebirge unter 100 Individuen, heute sind es etwa 800 Tiere. In den Wintermonaten werden dafür Kotproben gesammelt, per DNA Test das Individuum bestimmt und damit die Population berechnet. Das Vorkommen gibt uns Hinweise, wie wir Besucher lenken und wo besonders sensible Bereiche sind.
Foto: Gregor Wolf
Wie wird die Anwesenheit großer Beutegreifer wie Luchs und Wolf im Nationalpark dokumentiert?
Um diese beiden Arten zu dokumentieren, gibt es ein regelmäßig stattfindendes Monitoring. Dabei werden nicht nur Fotofallen angebracht und die Aufnahmen ausgewertet. Auch die Suche nach Losung sowie die Untersuchung von Rissen gehört dazu. Dokumentiert werden die Ergebnisse in Monitoringberichten, die auch auf der Homepage der Nationalparke
einsehbar sind.
Foto: Janine Rietz
Welche Rolle spielt der Klimawandel für die Tierwelt im Nationalpark? Gibt es messbare Auswirkungen auf Artenzusammensetzung oder Verhalten?
Langfristige Analysen von Forschern des Nationalparks zeigen, dass die Temperaturen auch im Grenzgebirge zwischen Bayern, Tschechien und Österreich beständig nach oben klettern. Der April ist mittlerweile drei bis vier Grad wärmer als noch vor 30 Jahren. Zwischen Mai und August liegt der Temperaturanstieg immerhin noch bei etwa zwei Grad. Die Vegetationsphase beginnt im Vergleich zu den 1970er Jahren drei bis vier Wochen früher. Pilze, Tiere und Pflanzen reagieren unterschiedlich auf die Veränderung, manche müssen sich auch neu organisieren. Besonders brenzlig könnte es im Bayerischen Wald demnächst für Arten werden, die, wie Bergglasschnecke, Siebenstern oder Ringdrossel, auf die Gipfelbereiche beschränkt sind. Für sie wird der Lebensraum langsam knapp. Dafür lassen sich nun auch Arten beobachten, die nur aufgrund des Temperaturanstiegs im Bayerwald heimisch werden können. Dazu zählt zum Beispiel der Trauer-Rosenkäfer, eigentlich ein Bewohner viel niedriger gelegener, sehr warmer Regionen.
Wie gelingt es, die natürliche Lebensweise der Tiere zu schützen und gleichzeitig Besucher*innen die Möglichkeit zu geben, Wildtiere zu beobachten?
Wichtigstes Instrument ist dabei die Zonierung. Diese stellt einerseits gezielt Flächen für Erholungssuchende bereit. Aktuell bieten wir unseren Besuchern zum einen ein bestens markiertes Wanderwegenetz von 350 Kilometern und ein Radwegenetz von 200 Kilometern.
Andererseits garantiert die Zonierung aber auch Rückzugsräume für störungsempfindliche Arten. Das Wegenetz ist dabei so ausgerichtet, dass es große, unzerschnittene und störungsfreie Bereiche als Rückzugsräume für viele Arten, wie beispielsweise das Auerhuhn, gibt. In den Prozessschutzflächen verbleiben vielfältige Ressourcen wie Totholz im Wald und erlauben in Deutschland bedrohten Arten hier große, überlebensfähige Populationen zu bilden. Immer wichtiger wird in diesem Zusammenhang auch das digitale Besuchermanagement, das dafür Sorge trägt, dass Informationen zum Nationalpark, aber auch Verhaltensregeln, Einschränkungen, Sperrungen usw. über digitale Medien an Besucher ausgespielt werden. Und von großer Bedeutung ist für uns auch eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den touristischen Verbänden.
Foto: Lukas Haselberger
Foto: Wolfgang Lorenz
Foto: Pia Gadenne
Foto: Gregor Wolf
Foto: Janine Rietz




