Weihnachtsgeschichte
Oft vergessen, aber immer wieder schön davon zu hören oder darüber zu lesen. Weihnachten, wie es früher einmal war. Wie erlebten Menschen dieses besondere Fest in einer Zeit, die von Entbehrungen und Unsicherheiten geprägt war? Zeitzeugen erinnern sich an Weihnachten in ihrer Kindheit: an die kleinen Freuden, den Duft von selbst gebackenen Plätzchen, den Zauber einer bescheidenen Tanne und die Magie von selbstgemachten Geschenken. Geschichten, die zeigen, wie trotz schwieriger Umstände die festliche Atmosphäre und der Zusammenhalt in den Familien lebendig blieb.
Der Traum vom Puppenhaus
von Astrid Gassen
Berlin-Zehlendorf - 1940, 1942
Jedes Weihnachtsfest war irgendwie das schönste Weihnachtsfest. Damals jedoch - das waren Kindheit und Jugend. Damals, das ist lange her. Damals hieß: Familie, Freunde, Zuhause, Heimat und vieles mehr. Damals war der Duft von Weihnachten, von Tannen und Kerzen, von Plätzchen, Schokolade, Marzipan und Gänsebraten.
Ich schaue auf das Foto und sehe meine Großmutter, bei der ich aufgewachsen bin. Meine Eltern ließen sich 1939 scheiden, und ich kam einen Tag nach meinem fünften Geburtstag, am 8. April 1939, zu meiner Omi, der Mutter meines Vaters. 17 Jahre blieb ich bei ihr, eine herrliche Zeit. Ich sehe meinen Papi. Dahinter steht mein Kindermädchen Gretel, die Größere, genannt Deten, daneben das Hausmädchen Klara, die ich Pattra nannte, und die uns als erste verließ, um in den Arbeitsdienst zu gehen. Wir hatten Krieg. Und ich sehe mich, meine Puppenstube, das Puppenbett, die Spielsachen, unser Zuhause in Berlin- Zehlendorf. Das zweite Kriegsweihnachten 1940.
Jenes Weihnachtsfest wird das schönste Weihnachtsfest bleiben, weil es Erinnerung ist, weil es meine Kindheit war. Nie wieder habe ich ein so lustiges Weihnachtsfest, wie das nun anstehende, erlebt. Den ganzen Abend wurden immer wieder neue und skurrilere Vorschläge zur Richtungskorrektur des Weihnachtsbaumes unterbreitet und praktiziert. Aber, was wir auch unternahmen, jedes zusätzliche Gewicht löste zugleich eine Drallbewegung aus. Diesem Tannenbaum fehlte einfach die festliche Ruhe.
Möglicherweise hat dieses Erlebnis dazu beigetragen, daß ich später während meines Ingenieurstudiums sehr schnell die Gesetze einer Drehbewegung um eine freie Rotationsachse verstanden habe. Wir waren schon im dritten Kriegsjahr, als mein Papi mir versprach, zum Weihnachtsfest 1942 ein Puppenhaus für mich zu bauen.
Nach der Trennung meiner Eltern lebte ich bei meiner Großmutter in einem herrlichen alten Haus in der Zehlendorfer Kleiststraße 15, mein Vater wohnte nebenan in der Nummer 11 in seinem modernen Haus. Dort befand sich ein für damalige Verhältnisse bombensicherer Luftschutzkeller, in den wir bei Angriffen auf Berlin gingen, zusammen mit vielen Nachbarn. Mein Vater fing in diesen Bombennächten mit dem Bau meines Puppenhauses an. Und nur in diesen, leider immer häufiger werdenden Bombennächten baute er an meinem Puppenhaus. Er ging dann in seinen Bastelraum, und mir war natürlich der Zugang verwehrt.
Weihnachten 1942 stand es dann vor dem großen Weihnachtsbaum im Haus meiner Großmutter. Meine Freude war riesengroß. Damals war ich sieben Jahre alt. Ich konnte nicht ahnen, daß ich nur wenig Freude an diesem Puppenhaus haben würde.
Im August 1943 verließen viele Frauen und Kinder Berlin, so auch meine Großmutter und ich. Wir haben damals Berlin für immer verlassen. Mein schönes Puppenhaus wird irgendwo geblieben sein. Als Erinnerung durch beinahe 60 Jahre blieb ein kleines Foto, dieses Bild Weihnachten 1942 in Berlin.
Unvergessene Weihnachten. Band 2
29 Zeitzeugen-Erinnerungen.192 Seiten, viele
Abbildungen, Ortsregister.
Zeitgut Verlag, Berlin.
Bestellen unter: Tel. 030 70 20 93 14
info@zeitgut.de; www.zeitgut.com
Taschenbuch, ISBN: 978-3-86614-103-2, EURO 8,90